23. Kurzgeschichten aus dem Hafen

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„Im Hafen wissen sie, …“

von HerrFenrisWolf

Eine salzig nasse Brise wusch über Trabas hinweg und weckte ihn aus seinem bierseligen Schlaf. Seine Glieder fühlten sich bleiern und fröstelten in der klammen Kleidung, welche sich über Nacht mit Feuchtigkeit vollgesogen hatte. Für einen Moment hielt der Rausch der durchzechten Nacht an, dann gab er Trabas frei in den Kater des Morgens danach. Beim Öffnen der Augen blendete ihn das Licht der Sonne. Ohnehin mühte er sich mehr als nach vergleichbaren Nächten in seiner Jugend, die sich jedes Jahr ein Stückchen weiter davon machte. Doch Trabas kam auf die Beine, blickte sich um und wie er das tat, ergriff ihn der Schwindel und zwang den Recken sich über die Zinnen des Hafenturms ins Meer zu übergeben. Als er fertig war, wischte er sich den Mund ab, richtete seine Kleidung und dankte den Göttern, dass weder Auswurf noch Möwenscheiße seine Kleidung besudelt hatten.

Zu seinen Füßen lag noch der goldene, reich geschmückte Pokal, den sie gestern hatten kreisen lassen, um einer nach dem anderen einen Trinkspruch mit hocherhobenen Gefäß in Richtung des königlichen Palasts auszubringen. Trabas klaubte den Becher vom Boden auf, der viel zu wertvoll war, als dass er die Wachstube im Turm hätte zieren dürfen, aber so war es nun einmal im Hafen. Manchmal ging etwas noch am Kai über Bord, anderweitig verloren oder wurde als Zeichen verschwiegener Beziehungen den braven Milizen zugesteckt. Jetzt jedenfalls füllte sich das Schmuckstück mit Süßwasser aus einem Fass neben dem Recken, der sich davon Linderung versprach.

Der Weg die Treppe hinab, ging sich wie bei unsteten Seegang. Trabas brauchte einen Moment, bis er die Tide in seinem Schädel im Griff hatte. Er stolperte die Treppe runter und hinein, in die kraftvolle Mischung aus abgestandener Luft, Männerschweiß, Bierfürzen und alten Stroh. Beinahe hätte er sich ein weiteres Mal übergeben. „Alles klar unter Deck?“, grüßte er scherzend seine Zechbrüder. Die Milizionäre, die dort saßen, boten einen ähnlich erbärmlichen Anblick. Weder ihre gegürteten Schwerter, noch die Waffenröcke konnten über den Katzenjammer in ihren Gesichtern täuschen. So wären sie durch keine Musterung gekommen. Jeder halbwegs anständige Offizier hätte sie Runden durch den Hafen rennen lassen, bis ihnen Schaum aus den Ärschen kommen würde. Den Göttern sei Dank, waren diese Offiziere alle mit wichtigeren Angelegenheiten betraut.

„Keine besonderen Vorfälle.“, murmelte der Dienstälteste. Er war etwas jünger als Trabas und studierte aus zusammengekniffenen Augen ein Schriftstück. „Der Bericht von letzter Nacht?“, fragte der alte Recke und stellte den Pokal auf einen Tisch ab. „Alle Schiffe auf die wir aufpassen sollten sind noch da und nichts ist verschwunden, das nicht hätte verschwinden sollen. Eine weitere Nacht vorbildlicher Diensterfüllung im Namen von König und Vaterland.“ „Hipp, hipp, Hurra!“, krächzte jemand nur mit halber Kraft aus einer Ecke und ließ dann donnernd einen fahren. Die versammelte Mannschaft lachte. „Irgendwas dabei, dass ein einfacher Bürger der Stadt wissen sollte?“ erkundigte sich Trabas. Der Diensthabende raschelte mit den Papieren, blätterte und suchte eine Zeile: „Nichts Außergewöhnliches für diese Tage. Die üblichen Kneipenschlägereien zwischen den Neuankömmlingen. Soldaten des Königs gegen angeheuerte Mietsklingen aus den Provinzen.“ Trabas nickte wissend. Vengard war schon immer der größte Umschlaghafen für die Truppen des Königs.

gewesen, aber heuer platzte die Stadt aus allen Nähten. Jeder Adlige der es sich leisten konnte hob Truppen aus. Freischaren aus dem ganzen Reich strömten heran. Selbst die Handelshäuser warben in den Provinzen um Söldner. Es hieß, wer sich um den Triumph des Reiches verdient machte, konnte Titel, Land und Privilegien erwerben. Obendrauf kam das stehende Heer der Krone. Alle strömten und sammelten sie sich in Vengard, bevor sie an die Front weiterzogen. Darum interessierte sich die Miliz gerade kaum für ihre Wachmannschaften im Hafen. Man hatte alle Hände voll das größte durchziehende Heer seit Varant unter Kontrolle zu behalten. „Na dann ist ja alles wie immer. Die Herren machen weiter Dienst nach Vorschrift und unsereins geht jetzt nachhause.“ Trabas wandte sich bereits zum Gehen. „Einen Moment noch Väterchen.“, hielt ihn der Diensthabende in der Stube: „Vor der Hafenmeisterei braut sich was zusammen. Geh mal hin und guck das aus.“ „Ach beim Barte Innos, ihr wisst ganz genau, dass ich heute meinen freien Tag habe. Da werde ich den Snapper tun und mich bei meinem Chef blicken lassen. Zumal mich meine Frau seit gestern Morgen nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. Ich bekomme heute schon genug Ärger.“ Der Diensthabende ließ sich nicht umstimmen: „Sieh’s als Zahlung für den Schnaps den wir gemeinsam niedergemacht haben. Wenn nichts ist, ist ja gut. Wenn aber doch was ist, dann sollten wir nicht in dem Aufzug antreten, in dem wir hier gerade sitzen. Schaff uns die Zeit in Ordnung zu kommen Väterchen.“

Trabas nickte und verließ den Turm. Sicher sah es in den anderen Hafentürmen ähnlich aus, die den Koggen, Holken und Kraiern des Reiches sowohl Schutzring und Hafenfeuer waren. Draußen ergriffen den alten Recken die Salzbrise und der bunte Trubel. Was immer von Land oder See herangeweht wurde, es ballte sich durch den Hafen. Man sah Seeleute, bemalte Dirnen, bunte Gecken, Händler aller Gewichtsklasse und Bewaffnete. An jeder Ecke des Dockrings und am Kai brüllte und schnatterte es. „… hat sich die glorreiche myrtanische Armee zurückfallen lassen, um den ins Schwächeln kommenden Angriff der Orks in Nordmar ins Leere laufen zu lassen.“, verkündete ein Herold die neusten Nachrichten von der Front. „Wahre Söhne der Wüste, es ist Zeit an den Busen eures Vaters zurückzukehren. Die Stunde unserer Wiedergeburt rückt näher.“, raunte ein verhüllter Varantener von einer Kiste der Besatzung eines Schoners aus Bakaresh zu. Der ruft auch in einer Stunde noch, wenn die Miliz den Kopf frei hat, dachte sich Trabas und ging weiter.

Ein altes Sprichwort kam ihm ein: „Im Hafen wissen sie, warum sich der König den Arsch kratzt.“ Es bedeutete so viel, dass wie auch alles andere, jede noch so schlichte Wahrheit ihren Weg in den Hafen fand. Natürlich kleidete sie sich dort in den Mantel eines Gerüchts, der je nachdem wer es weiterverbreitete andere Farben hatte.

Goldene Gardisten hatten am inneren Kai ein Auge auf Strafgefangene die man in die Strafkolonie verfrachten würde. Der dazugehörige Richter war nicht auszumachen. Das Scheppern schwerer Platten zog Trabas Aufmerksamkeit in Richtung einer Kogge, die am innersten Punkt des Dockrings festgemacht war. Vor dem Schiff hatten Ehrengardisten des Königs Aufstellung genommen. Ihre Anwesenheit verriet dem Hafenkenner, hier wurde Erz aus Khorinis gelöscht. In der Hauptstadt machte die Krone bei dieser speziellen Angelegenheit keine halben Sachen. Die Ehrengarde war der auf den Thron eingeschworene, unbestechliche Wille des Königs. Anders als der Orden der Streiter Innos kannte die Ehrengarde wahrlich nur einen einzigen Herrn. Kein Gauner, der bei klarem Verstand war, würde auch nur davon träumen sich an diesem Erz zu bereichern.

Trabas kam der Hafenmeisterei immer näher. Tatsächlich wartete hier ein Pulk mit ungehaltenen Gesichtern vor der Schwelle des Meisters. Zu Trabas Erstaunen waren mehr Ehrengardisten der Grund für das Warten. Sie versperrten den Bittstellern den Zugang zur Amtsstube. „Lässt man euch nicht ein?“, fragte er überflüssigerweise einen Pfeffersack. „Meine Holk hätte schon vor einer guten Stunde beladen werden müssen. Wir transportieren lebendigen Schwefel aus Geldern und müssen damit nach Bakaresh. Die Ware duldet keinen weiteren Aufschub, jede Minute die wir hier verschwenden, macht die Luft sie saurer.“ Trabas der zwar selbst zur See gefahren war und manches verladen hatte, kannte sich in diesen Dingen nicht aus, verstand aber, dass dem Mann mit jedem Moment mehr Gold durch die Finger ran.

Auf der Treppe der Meisterei erkannte ihn ein Schreiber und rief hinab: „He Trabas, du kommst gerade recht. Sieh zu, dass du reinkommst, der Meister braucht dich.“ Daraufhin gab er den Gardisten ein Zeichen und ehe Trabas sich versah, saß in der Stube seines Chefs und Schwagers. Ihm hatte man den Platz zugewiesen, den die Bittsteller am Arbeitstisch des Meisters bekamen. Der saß ihm gegenüber und zu seiner rechten saß Offizier der Ehrengarde Cobryn. Sich den Schnurrbart kräuselnd, musterte Cobryn Trabas wie ein Falke: „Ist er verlässlich?“ „Mein verlässlichster Mann und Familie noch dazu. Meine Schwester hat ihn zum Gatten.“ Gut hörbar zog der Offizier Luft durch die Nase ein und machte deutliche welche Fahne Trabas noch immer schwenkte. „Nun äh…“, der Hafenmeister versank beinahe vor Scham: „… heute ist sein freier Tag und trotz aller Umstände ist er hier. Einen pflichtbewussteren…“, Cobryn winkte ab: „Lass gut sein. Ich glaube dir Hafenmeister. Trabas ist dein Name? Dann pass mal auf“, der Gardist legte ein buntes Band mit gepressten Wachs vor Trabas auf den Tisch. „Kennst du dieses Siegel?“ Der Recke besah den Stoff. Er war offensichtlich schlecht gewebt oder aus fadenscheinigen Resten. Das Bild des Siegels war grob und in roten Lack. Ein Wappen war nicht zu erkennen, wohl aber ein umlaufender Schriftzug, der da hieß: „Erzbaron Gomez“.

„Von einem solchen Baron habe ich nie gehört, mein Herr.“, sprach Trabas und Cobryn nickte. „So soll es verdammich nochmal auch bleiben, denn es gibt keinen Erzbaron Gomez. Solche Sperenzchen schüren nur Gerüchte und die Leute sehen Rauch, wo es überhaupt nicht brennt. Speziell in Kriegszeiten kann das Reich sowas nicht gebrauchen. Dieser Scherz ist mit der Kogge aus Khorinis nach Vengard gekommen. Eigentlich ist der Magistrat der dortigen Hafenstadt verantwortlich, dass sowas nicht vorkommt, aber in den Provinzen nimmt man es mit Pflichterfüllung nicht so genau. Der Thron ist immerhin weit weg. Von heute an seid ihr von der Hafenmeisterei gemeinsam dafür verantwortlich, jede Kiste Erz aus Khorinis auf diesen Unfug hin zu prüfen und ihn zu entfernen und zwar BEVOR die Scheuermänner sie löschen.“

Trabas wurde beim Gedanken daran schwindelig, wie er jede Kiste vor Verlassen einer jeder Koggen aus Khorinis würde prüfen müssen. „Aber…“, setzte er an. „Kein Aber.“, schnitt der Gardist ihn ab: „Dafür steht ihr mir ein. Keines dieser falschen Siegel verlässt den Hafen, sonst wird man euch die Hammelbeine langziehen und dafür Sorge tragen, dass ihr den Ursprung dieser Scherze vor Ort auf den Grund gehen könnt.“ Damit war die Unterredung zu Ende.

Draußen wappnete sich Trabas vor der bevorstehenden Arbeit. Seinen freien Tag würde er verschieben müssen. Wie er in Richtung Kogge stierte und sich nicht überwinden konnte, seinen Fuß darauf zu setzen und die Plackerei zu beginnen, näherte sich der Diensthabende vom Turm. „Hab mich schon gefragt wo du steckst. Doch keine Revolte im Hafen?“, fragte er. „Nein, nur noch mehr Maloche.“ „Snapperdreck.“, fluchte der Milizionär und hielt Trabas eine frisch geöffnete Flasche Schnaps hin. „Was soll’s?“, dachte der sich, nahm einen kräftigen Hieb und fragte den Freund: „Was hört man eigentlich so aus Khorinis?“ Der grinste: „Da haben sie doch den General hin verbannt. Es heißt er sei aus der Gewalt des Königs entkommen und verschwört sich jetzt mit Piraten und Dämonen, um zurückzukehren und Rache zu nehmen.“ „Ach was du nicht sagst?“, schmunzelte Trabas: „Hast du schon einmal von einem Erzbaron namens Gomez gehört?“