22. Kurzgeschichten aus dem Hafen

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Der Hafen von Vengard

von Gregox

Die Sonne strahlte durch das Fenster und ließ ihn blinzeln. Bevor er sich versah, war er auch schon wach und setzte sich mit seinen müden, alten Knochen auf und sah sich um. Sein Häuschen am Hafensteg war klein gehalten. Ein Doppelbett, eine robuste Truhe und einen Kleiderschrank. Aber es war besser als für die meisten anderen. Schließlich hatte er immer noch ein Dach über dem Kopf und in diesen Tagen war allein das einiges wert.

Sein Blick wandte sich der anderen Seite des Bettes zu, welche leer war. Seit diese Seite leer war, war sein Leben nur noch gefüllt von der Hoffnung, einen guten Tod zu sterben. Nichts sehnlicher wünschte er sich, als mit seiner Frau wieder zusammenzukommen.

Ein Seufzer stieß er aus, ehe er sich aus dem Bett erhob und seine Kluft anzog. Seinen Dolch und etwas Gold für seinen Beutel aus der Truhe hing er sich an seinen Gurt.

Er ging aus dem Haus und zum Marktstand gegenüber, auf der anderen Straßenseite, um seinen täglichen Einkauf zu tätigen.

„Grüß dich, Ruprecht.“, lächelte die junge Frau ihn an. „Hallo, Lena.“, er nickte nur grimmig. Sie seufzte: „Wäre ein schöner Tag, wenn nicht …“ Ein Brummen war von Ruprecht zu vernehmen: „Ach, hör mir auf. Wir dürfen die Stadt also schon nicht mehr verlassen. Wird uns ja echt helfen, wenn die Orks demnächst kommen und uns einfach überrennen.“ Lena sah ihn kurz mit geschockter Miene an: „Sag doch so was nicht. Die Paladine und Garde werden schon alles richten.“ Während Ruprecht sich seine üblichen Waren, seinen geliebten Käse, einen Laib und etwas Wasser, einsteckte und für das nötige Gold eintauschte, lachte er auf Lenas Aussage hin auf: „Die Paladine? Die Garde? Die Jungs sind doch viel zu fett an dem Gold geworden, das sie sich einstecken. Die wenigen, die noch ein bisschen Selbstrespekt haben, werden bleiben, aber schnell krepieren.“ Lena wandte kurz den Kopf zur einen, dann zur anderen Seite. Dann neigte sie sich zu Ruprecht und flüsterte: „Lass es, bitte. Irgendwer wird dich hören, melden und dann landest du für Hochverrat im Kerker. Und bald darauf am … Galgen.“, sie schluckte besorgt. Ruprecht senkte seine Stimme jedoch nicht: „Ach, mein Leben habe ich doch schon hinter mir. Nur, weil der König paranoid geworden ist und falsche Hoffnung – …“ Lena schaute ihn verärgert an, bis sie ihn schließlich unterbrach: „Es reicht! Dir mag dein Leben egal sein, aber mir ist meines nicht egal. Geh damit woanders hin.“ Ruprecht winkte grummelnd ab, schüttelte den Kopf und verpackte seinen Proviant für den Tag und wandte sich weiter gen Steg. Dort, an einer der Fischereien, legte er das Gekaufte ab, kramte seine Angel hervor und begann seiner täglichen Arbeit als Fischer nachzugehen.

Nach einiger Zeit fing die Sonne auch schon an, unterzugehen, da hörte er plötzlich eine vertraute Stimme:

„Hey …“, sprach Lena ihn an. „Hrmpf.“, gab Ruprecht nur von sich.

„Hör mal“, sie näherte sich ihm und setzte sich neben ihm, „tut mir Leid, wie ich reagiert habe. Aber du musst wirklich vorsichtig sein.“ „Du wiederholst dich.“, entgegnete er ihr knapp. „Ich weiß, dass du immer noch um deine Frau trauerst. Aber du kannst dein Leben nicht einfach so wegwerfen!“, sie lächelte. „Wer sonst wird denn noch bei mir so regelmäßig einkaufen wie du?“ „Du hast keine Ahnung, worüber ich trauere und wieso.“, brummte Ruprecht, sein Blick war immer noch gen Meer gerichtet. Keines Blickes würdigte er das junge Mädchen mit den braunen Locken, welches er wie seine Tochter sah, seit sie sich um ihn zu kümmern begann. „Worüber trauerst du denn?“, fragte Lena verwirrt. „Über alles. Wusstest du, dass ich mal Schmied war? Nein, oder? Wie denn auch, inzwischen sind meine Arme schmächtiger als die eines Neugeborenen. Ursprünglich sollte mein einziges Kind, mein Sohn das Familiengeschäft übernehmen. Und dann kamen sie.“ „Wer?“ „Die Königstreuen.“, entgegnete er abfällig. „Sie kamen und beschlagnahmten die Schmiede, all die Waffen, mit der wir unser Brot verdienten. Ich war bereits im Ruhestand, die Schmiede gehörte damals schon meinem Sohn.“ „Und? Was ist dann passiert?“ „Mein Sohn wurde gezwungen, wie ein Sklave für die Bastarde zu arbeiten. Jeden Tag sollte er alles an die Truppen abgeben und das zum Hungerpreis. Verkaufen durfte er nichts mehr. Mit der Begründung, dass die Klingen von ‚kriegswichtiger Bedeutung für das Königreich sind‘. Pah, dass ich nicht lache! Die Hälfte von denen kann doch eh keine richtige Klinge führen.“ „Was passierte dann?“ „Irgendwann reichte es Gunter. Er protestierte und … dann schickten sie ihn einfach in die Armee. An die Front. Wo er dann starb.“ Lena schwieg, doch Ruprecht fuhr unmittelbar fort: „Da wir von ihm abhängig waren, konnten wir bald darauf nicht mehr den Zins für unser Haus bezahlen. Und dann hat man uns in den Hafen verwiesen, da wir ja einen ‚Verräter‘ in die Welt gebracht hatten. Kurz darauf wurde meine Frau krank und … den Rest weißt du ja.“, sprach er trocken aus. Es war fast so, als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden und wartet nur auf den Tag. „Und jetzt lebe ich in diesem Drecksloch. Voller Diebe und Halunken, von denen die meisten entweder in die Kneipe gehen, um sich volllaufen zu lassen und sich dann zu prügeln oder aber in das Bordell gehen, um dem ganzen drecks Viertel den Schlaf zu rauben. Noch schlimmer sind die Bettler, die entweder Krankheiten übertragen oder nach Gold verlangen, obwohl du selber keines hast … nur wegen dieses verdammten Krieges. Gegen die verfluchten Orks. Erst war es eine ferne Gefahr, jetzt sitzen die da draußen, um uns auszuhungern. Raus dürfen wir nicht mehr, wir müssen ja auf unsere großen Helden aus Khorinis warten. Hrmpf.“, schnaubte er.

„Es tut mir wirklich Leid. Das … wusste ich …“ „Nicht? Natürlich nicht. Aber dennoch musstest du die Besserwisserin spielen.“ Beide saßen schweigend da für den Moment, während die harsche Brise des Salzwassers über ihre Gesichter wehte. „Geh weg. Ich will dich heute nicht mehr sehen.“, sprach Ruprecht bestimmt. Lena machte ihren Mund auf, wollte etwas sagen, doch schloss ihn bald wieder, stand betrübt auf und schlenderte zurück.

Der Tag war so schnell vorbei wie er begann, oder zumindest hatte Ruprecht dieses Gefühl gehabt. Und genauso schnell begab er sich wieder zu seinem Haus, sein Essen bereits verspeist. Er zog sich um und legte sich schlafen, in der Hoffnung, er würde aufwachen und es würde besser werden. Keine Orks mehr, kein Krieg mehr. Vielleicht ein gerechterer König, der nicht die einkerkern lässt, die ihre

Steuern nicht zahlen können? Andererseits war es ihm egal. Seit dem Tod seiner Frau hatte er mit der Welt abgeschlossen wie viele andere Bürger Vengards. Der König mag soviel von Hoffnung und einem Schiff am Horizont reden, welches Rettung bringen solle. Das ist sowieso nur Propaganda des Königs, nichts weiter. Er will nur die Bürgerlichen nicht verunsichern. Diese Gedanken hielten ihn eine ganze Weile wach, bis sich seine Augenlider langsam schlossen und er in die Welt der Träume überging …

Ein lauter Knall! Ruprecht schreckte vom Bett auf. Es waren Schreie und Einschläge zu hören, die ganze Erdbeben verursachten. Beinahe fühlte es sich wie eine zweite Flut des Adanos an, wie sie die Priester beschrieben.

Ruprecht zog sich seine Kluft über und eilte aus dem Haus, doch er wurde direkt zu Boden geworfen. Trampelnde Menschen liefen einfach über ihn und das Einzige, was er hörte, waren Kreischen und Klingen, die aneinandergerieten. Nach ein paar Momenten war die Menge verschwunden, doch da kamen bereits die Nächsten. Ruprecht wurde gerade dann an den Arm gepackt und hochgeholfen, bevor er zertrampelt wurde. Er fasste sich an den brennend schmerzenden Kopf, an dem etwas Blut die Stirn herunterfloss. Er sah dann zu dem Mann, der ihn gerettet hat und sah einen Gardisten vor sich. „GEH ZU DEN BOOTEN, ALTER MANN! SCHNELL!“, brüllte er Ruprecht an. „Was … geht hier vor?!“, Ruprechts Stimme zitterte leicht, da er bereits ahnte, was geschehen war. „ORKS! Sie … sind durchgebrochen! Und scheinbar wurde bereits ein orkisches Kriegsschiff gesehen, das sich dem Hafen nähert. Die einzige Hoffnung für euch sind jetzt die Boote auf den Stegen. Schnell, BEEIL DICH!“, brüllte der Gardist ein letztes Mal, ehe er sein Schwert zog und mit den Worten „FÜR DEN KÖNIG!!!“ auf den Lippen wieder in die Schlacht zog. Ruprecht lief los, so gut ihm seine alten Knochen dienlich sein konnten. Er sah kurz zum Marktstand Lenas, welcher bereits umgeworfen war. Dann sah er die anderen Gebäude, während er auf die Boote zulief; die Taverne, das Bordell, die ganzen Wohnhütten … die meisten waren bereits in Brand oder zumindest beschädigt. Von den Vierteln im Inneren der Stadt sah man Rauchwolken aufsteigen und stets war die Kulisse des Kampfes zu vernehmen.

Da sind die Boote schon, dachte sich Ruprecht. Aber bereits dann sah er, dass die meisten Boote schon weg waren. Nur noch eines konnte er sehen, in welchem auch Lena war. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn wahrnahm: „RENN! SIE SIND HINTER DIR!“, schrie sie. Ruprecht rannte schneller, so gut seine Beine ihn tragen konnten. Er konnte bereits den Schwung einer Orkaxt hinter sich spüren, die ihn gerade so verfehlte, und die nächste … so nah dran, nur noch ein Stück …

„NEIN!!“, kreischte Lena, während ihr Boot abfuhr. Ruprecht war stehengeblieben und konnte nur noch die Orkaxt im Rücken spüren, ehe er umkippte. Ruprecht keuchte auf dem Boden. Es ertönten die furchteinflößenden Schreie der Orks, die auch Lena vernahm, die für beide immer schwächer und schwächer wurden. Für sie, je weiter sich das Boot entfernte, bis es dann weg war und für ihn, während er gebrochen auf dem Boden lag.

Ruprecht spürte, wie ihm das Blut aus dem Mund lief, am meisten jedoch vom Rücken. Das ist also das Ende? Alles von den Orks zerstört, alle Menschen verjagt und ermordet … Beliar hat gesiegt. Die Welt wird in Dunkelheit untergehen. Und das Böse hat triumphiert.

Ein letzter Blick auf das Meer, wo er sein halbes Leben verbrachte. Wenigstens das blieb ihm …

Doch dort, ein Schiff am Horizont, welches er in seinem letzten Atemzug bemerkte.

Mit einem Lächeln schied Ruprecht dahin. Denn er wusste, dass dieses Schiff die Hoffnung zurückbringt. Hoffnung, die er seit langem verloren hatte.

Hoffnung auf ein Ende des Leids und des Krieges.

Alles wird gut.