Der schwarze Wolf

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Der schwarze Wolf

 

Die Spuren waren frisch.

Es hatte erst vor einer halben Stunde zu schneien aufgehört. Der Schnee war fast völlig unberührt. Nur hie und da hatte schon wieder eine Krähe die Abdrücke ihrer Krallen hinterlassen. Unter einem Baum zeichneten sich die Umrisse kleiner Eichhörnchenfüßchen ab.

Und dann waren da die Spuren der Hinde.

Evert lockerte den Riemen, der seinen Köcher hielt, und ließ ihn an seine Seite hinuntergleiten, wo er leichter und schneller an seine Pfeile kam. Dann machte er sich daran, der Spur zu folgen.

Linker Hand lag ein kleines Gehölz. Dicht an dicht standen dort einige Dutzend Tannen, die schwer unter der Last des frischgefallenen Schnees zu tragen hatten. Er runzelte die Stirn, als er sah, dass einige Schritt voraus einer der Äste frei von dem weißen Mantel war. Ein kleiner Schneehügel unter dem Ast verriet, dass er bis vor kurzem noch ebenso bedeckt gewesen war wie die anderen.

Evert griff nach dem Ast. Er war nicht nur frei von Schnee, sondern zumindest an der Spitze auch frei von Nadeln. Nur einige wenige hingen noch an dem Holz, einsam und verbogen, in verschiedene Richtungen abstehend. Weitere lagen darunter auf der Schneedecke. Die meisten Nadeln aber waren gänzlich verschwunden.

Er musste seinen Blick nicht erst zu den Spuren senken, um zu wissen, womit er es hier zu tun hatte. Nur ein Ripper fraß auf diese Art Tannennadeln. Er legte vorsorglich eine Hand aufs Schwert. Vielleicht war das Biest noch in der Nähe.

Ein Ripper hatte ihn einmal beinahe erwischt. Er hatte auf der Lauer gelegen und nicht bemerkt, wie sich das schweineartige Tier von hinten an ihn heranschlich. Zumindest nicht, bis er seinen heißen Atem im Nacken gespürt hatte und von einem plötzlichen Grunzen aufgeschreckt worden war. Aber da war es schon zu spät gewesen: Das Vieh hatte seine Zähne in Everts Bein geschlagen. Seine Hauer waren durch das Fell und das Leder gedrungen, die er am Leib getragen hatte, durch Fleisch und Sehnen, bis auf den Knochen hinunter. Gerade noch rechtzeitig hatte der junge Jäger sein Messer ziehen und dem Tier in die Seite schlagen können. Er hatte den Ripper in die Flucht geschlagen, aber dann war er dem Schmerz erlegen. Hilflos und halbohnmächtig hatte er mit angesehen, wie sich erst das Leder seiner Hose schwarz und dann der Schnee unter ihm langsam rot gefärbt hatte.

Am Ende hatte Bogir ihn gefunden und in den Clan zurückgebracht, wo seine Eltern schon halb tot vor Sorge gewesen waren. Wobei, nein, das war nicht das Ende der ganzen Geschichte gewesen. Er hatte noch lernen müssen, dass das Schlimmste an Rippern nicht ihre scharfen Zähne waren, sondern die Krankheiten, die man sich durch einen Biss dieser Biester einfangen konnte. Einen Monat hatte er im Bett verbracht, begraben unter einem halben Dutzend Bisonfelle. Mal war ihm der Schweiß von der Stirn geronnen, im nächsten Moment hatte es ihn trotz all der Felle geschüttelt wie in den schlimmsten Nordmarer Wintern nicht. Am Ende hatten die Kräuter und Zauber der Gydja ihn geheilt. Und der gute Wille der Ahnen.

Die Gydja aber war jetzt nicht hier. Genauso wenig wie Bogir, der das Jagen aufgegeben hatte, soweit man ihm erzählt hatte. Und was den guten Willen der Ahnen anging: Darüber wollte er lieber nicht so genau nachdenken. Er hatte den Verdacht, dass sich dann schon bald eine innere Stimme zu Wort melden würde – eine Stimme, die wahrscheinlich verdächtig nach Garik klingen würde –, um ihm zuzuflüstern, dass er diesen guten Willen durch die Missachtung seiner langen Ahnenreihe, von seinem Großvater Harald bis hin zu Snorre dem Gewitzten, verspielt hatte. Kurzum, er wollte lieber nicht mit einem Ripper aneinandergeraten. Die Narben, die er noch immer von seiner ersten Begegnung mit so einem Biest am Bein trug, reichten ihm als Mahnung.

Mit den Augen suchte er den Boden ab. Rings um den Stamm der Tanne, dort wo die dichten Äste und Nadeln einen braunen Ring aus Erde erhalten hatten, war er aufgewühlt. Wieder der Ripper. Welches andere Tier würde sich mit seiner Schnauze durch den gefrorenen Boden wühlen, um an Wurzeln oder vielleicht gar einen kleinen Nager zu kommen? Everts Blick glitt zurück zu den Spuren der Hirschkuh. Sie kreuzten die des Rippers. Aber es gab keine Zeichen eines Kampfes. Für einen Moment ging er in die Knie, um die Spuren genauer zu untersuchen. Die des Rippers waren leicht verwischt von den Windböen, die alle paar Minuten von der großen Schlucht herüberwehten und die Tannen zum Rascheln brachten. Die Hirschspuren waren noch frischer. Die beiden Tiere waren sich nicht begegnet. Noch hatte ihm niemand seine Beute streitig gemacht. Und die Chance, dass der Ripper plötzlich zwischen den Bäumen hervorbrach, war auch gering. Wahrscheinlich war das Mistvieh schon weitergezogen.

Auch Evert zog weiter, folgte wieder den Abdrücken der Hirschhufe im Schnee.

Seitdem hat sich viel verändert. Damals war er noch ein Halbwüchsiger gewesen, hatte vielleicht zwölf oder dreizehn Lenzen gezählt. Damals war er zum ersten Mal allein auf die Jagd gegangen, statt in Begleitung seines Vaters oder Bogirs oder Jensgars oder eines der anderen Clanmitglieder. Inzwischen war er ein junger Mann, hatte bereits seine Mannesprobe bestanden, schon vor langem seinen ersten Säbelzahn erlegt, hatte selbst gegen Orks gekämpft und war schon öfter allein auf Jagd gewesen, als er zählen konnte, ja er lebte mittlerweile sogar alleine außerhalb des Clans.

Er war kein Orktöter und erst recht kein Anführer und würde das auch nie sein, so sehr manche seiner Clanbrüder ihm das zum Vorwurf machen mochten. Aber jagen, das konnte er inzwischen.

Wieder hob ein Wind aus Richtung der Schlucht zu seiner Rechten an. Aber diesmal war es keine kurze Böe, die sofort wieder abbrach. Evert folgte weiter den Spuren, zog sich aber im Gehen einen seiner Handschuhe aus. Rasch leckte er sich über den Daumen, dann hielt er ihn in den Wind. Der Wind kam aus Südosten. Das war gut. Er konnte der Hinde bedenkenlos weiter folgen. Sie würde ihn nicht wittern.

Hinter dem Gehölz stieg Rauch auf einer Hügelkuppe auf. Er hielt sich vorsorglich im Schatten des Hügels, unter dem leicht hervorhängenden Felsen. Die meisten der Orks lagerten weiter im Norden oder im Osten. Und einer seiner Leute hätte sein Lager nicht so offen auf dem Präsentierteller aufgeschlagen. Er vermutete Goblins. Sie würden sich kaum die Mühe machen, nur seinetwegen von ihrem Hügel herunterzuklettern, aber er wollte sie trotzdem nicht provozieren.

Jenseits des Hügels machte die Schlucht einen Knick nach Süden und gab eine leicht abfallende Ebene frei, auf der Fichten und Kiefern sprossen. Evert sah einen Hasen ins Unterholz huschen, als er sich näherte. Doch der Hase interessierte ihn im Moment nicht. Wenn er die Hinde nicht fing, dann würde er hoffen müssen, dass ein Langohr in eine der Schlingen getappt war, die er um sein Lager herum ausgelegt hatte. Aber er hoffte, dass er sich heute Abend etwas Hirsch würde schmecken lassen können. Und es war nicht mehr weit, das wusste er.

Er fand seine Beute schließlich auf einer kleinen Lichtung, wo sie zwischen Schnee und herabgefallenen Ästen nach dem spärlichen Gras scharte. Er näherte sich ihr von hinten, im Schutz einiger Büsche. Langsam legte er einen Pfeil auf die Sehne. Wie auch seinen Bogen hatte er ihn selbst gefertigt. Gunnar hatte ihn das gelehrt. Die Spitze war aus einem Wolfszahn gefertigt und damit besonders spitz, perfekt geeignet für die Jagd auf Wild.

Die Hinde hob den Kopf. Ihre großen, runden Augen suchten hektisch das umliegende Gestrüpp ab. Ihre Ohren hatten sich aufgestellt und eines von ihnen zuckte leicht. Evert spannte langsam die Sehne, darauf bedacht, die umliegenden Zweige nicht zum Rascheln zu bringen. Gleich konnte es um Sekunden gehen. Doch wofür er die Sehne anzog, ob für die Hirschkuh oder das, was sie gewittert haben mochte, wusste er nicht. Hatte ein Säbelzahn sich dieselbe Beute erkoren wie er? Ging einer der Orkspäher hier auf die Jagd?

Das Tier stieß sich mit den Beinen von der Erde ab, schoss zur Seite davon. Er ließ die Sehne los. Sein Pfeil, mit dem er auf den Hals der Hinde gezielt hatte, traf ihre Flanke und bohrte sich knapp oberhalb ihres linken Beines in ihr Fell. Sofort hatte er einen zweiten Pfeil auf der Sehne. Aber dennoch wäre seine Beute wohl entkommen, wäre nicht im nächsten Moment ein schwarzer Blitz aus den Büschen auf der anderen Seite der Lichtung geschossen und hätte sich auf sie gestürzt.

Ein Augenschlag, dann war es vorbei. Der Wolf stand über der toten Hirschkuh, die weißen Zähne rot von ihrem Blut. Everts zweiter Pfeil war auf ihn gerichtet. Aber langsam ließ er ihn sinken. Nicht nur jagten wilde Eiswölfe niemals alleine, er kannte auch nur einen einzigen Eiswolf, der nicht so weiß wie das Eis Nordmars war, das dieser Gattung ihren Namen gab, sondern pechschwarz. Er schob den Pfeil in den Köcher zurück und trat aus den Büschen hervor.

Der Wolf hatte ihn wohl ebenso wenig gewittert wie die Hinde. Der Wind wehte ihm noch immer entgegen. Nun aber fletschte das Tier die Zähne und knurrte leise. Evert hielt inne. So ein Verhalten war er von den zahmen Wölfen seines Clans nicht gewohnt.

Nicht minder überrascht war er, als plötzlich hinter dem Wolf jemand zwischen den Bäumen hervortrat. Seine Überraschung rührte dabei nicht etwa daher, dass er nicht mit einem Menschen gerechnet hatte. Im Gegenteil, das hatte er, seit er den Wolf erkannt hatte. Überraschend war vielmehr, dass es sich gerade nicht um den Menschen handelte, mit dem er gerechnet hatte. Dennoch war der Anblick ein erfreulicher.

„Ronar!“

„Evert, gut dich zu sehen!“ Die beiden Männer trafen sich in der Mitte der Lichtung und schlossen einander in die Arme.

„Bist du auf dem Weg in den Clan?“, fragte Evert den anderen Jäger dann. Er wusste, dass sie sich ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Ronars Jagdhütte und dem Dorf befanden.

Sein Gegenüber nickte. Er war älter als Evert, aber noch immer ein junger Mann. Sein Bau war stattlich. Seine Kleidung war aus Fell und Leder zusammengenäht und glich der Everts. Auch der Bogen über seiner Schulter ähnelte Everts eigenem. Wie alle Jäger des Wolfsclans benutzte auch er einen Bogen, dessen besondere Bauweise Helmar, einer ihrer Ahnen, erdacht hatte und der besonders geeignet für die Jagd war. In ganz Nordmar waren diese Bögen als Wolfsreißer bekannt. „Habe genug Zeit in meiner Hütte verbracht“, erklärte Ronar. „Wird Zeit, dass ich mal wieder unter Leute komme und mich ein paar Tage ausruhe. Hatte schon seit Wochen keinen guten Nebelgeist mehr.“ Dann wies er hinter sich. Dort stand ein Schlitten, den er an einem Seil hinter sich herzog und auf den er einen ganzen Haufen Felle und auch einen Sack voller Klauen und Zähne gebunden hatte. „Außerdem wird’s Zeit, mal wieder meine Beute bei Rune abzuliefern. Der wartet dieser Tage ganz besonders ungeduldig auf unsere Ausbeute.“

Everts Blick war schnell wieder von Ronars Fellen zu dem schwarzen Wolf gewandert, der sie beide längst nicht mehr beachtete und stattdessen seine Zähne in die tote Hinde schlug. „Seit wann gehört Bullviks Wolf zu dir?“

Ronars Blick verfinsterte sich. „Tut er nicht. Er ist mir nur zufällig über den Weg gelaufen.“

Evert schwante Böses. „Was ist mit Bullvik?“

„Er hat einen der Jagdtrupps begleitet, die dein Vater jetzt aussendet. Sie sind auf Orks gestoßen. Man hat ihn auf seinem Schild nachhause getragen. Du kannst dir vorstellen, wie am Boden zerstört Arsa jetzt ist.“

Bullvik. Rune hatte mal gewitzelt, einer von Bullviks Ahnen müsse ein Oger gewesen sein. Bullvik war ein wahrer Riese gewesen mit Armen wie Baumstämme. Und einer der besten Krieger des Clans. Unter den Orktötern hatte ihm nur Hogar das Wasser reichen können. Und Hogar war immerhin der Herse. Die Frauen des Clans hatten Arsa stets um ihren Mann beneidet. Wahrscheinlich taten sie das nun nicht mehr. Ein lebender Mann war besser als ein toter, selbst wenn der tote Mann Bullvik war. Die Vorstellung, dass selbst solch ein Krieger wie Bullvik nicht vor den Orks sicher war, war eine unbehagliche.

„Und sein Wolf?“

„Ich war nicht dabei, aber die Männer sagen, er ist rasend geworden. Hat unter den Orks gewütet und ist dann davon gelaufen. Seitdem hatte ihn niemand gesehen. Tja, und jetzt ist er mir über den Weg gelaufen.“

Evert wandte sich wieder dem Wolf zu. Seine Mutter hatte ihn aus ihrem Wurf verstoßen, das wusste er. Wegen seines schwarzen Fells. Dieses Fell sei ein böses Omen, hatten viele gemeint, ein Fluch der Ahnen. Aber Bullvik hatte den Wolf in seine Obhut genommen und die beiden waren unzertrennlich geworden. Gemeinsam hatten sie so manchen Ork getötet.

Langsam näherte er sich dem Wolf und seiner Beute. Doch sofort hob dieser den Kopf und bleckte die Zähne. Evert tat einen weiteren Schritt, und der Wolf begann zu knurren.

„Sei vorsichtig“, warnte Ronar und zog einen seiner Handschuhe aus, um Evert die tiefen Wunden in seiner Hand zu zeigen. „Mich hat er schon gebissen. Ich fürchte, er ist wild geworden und unberechenbar. Er lässt sich nicht anfassen. Ich bin froh, dass er mir überhaupt zum Clan folgt. Und zwischendurch bin ich fast überrascht, dass er mich nicht plötzlich anspringt. Ich hoffe, die Gydja wird Rat wissen. Oder vielleicht Bogir. Womöglich kann er den Wolf beruhigen.“

„Wie steht es mit Bogir?“, griff Evert das neue Thema auf.

„Als ich das letzte Mal im Clan war, unverändert. Sitzt an seinem Feuer, redet kaum mit jemandem und will nicht jagen gehen.“

Das beunruhigende Gefühl in Everts Brust wurde stärker. Bullvik, der stets so stark und unbezwingbar gewirkt hatte, fiel im Kampf. Bogir, der schon zu Everts Geburt der beste Jäger des Clans gewesen war, von dem er so viel gelernt und der ihm das Leben gerettet hatte, saß nur noch apathisch vor seiner Hütte. Die Orks strömten in immer größerer Zahl in das Land ihrer Ahnen und machten ihnen das Leben immer schwerer. Es war als läge sich ein dunkler Schatten über Nordmar.

„Tut mir leid um deine Beute“, sagte Ronar und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Ich fürchte, von der Hinde kriegst du nichts mehr ab.“

Evert lächelte schief. „Soll der Wolf das Fleisch haben. Ich hoffe einfach, dass mir ein Hase in die Falle gegangen ist.“

„Willst du nicht mitkommen?“, fragte Ronar.

„Nee, lass mal lieber. Du weißt ja…“ Er brach ab, ohne selber zu wissen, wie sein Satz hätte enden sollen.

„Wir haben ein paar gute Männer verloren. Nicht nur Bullvik. Und ich fürchte, es wird nur schlimmer. Es kommen immer mehr Orks. Im Moment scheinen sie sich auf den Hammerclan zu konzentrieren. Ich will mir gar nicht ausmalen, mit wie vielen wir es erst zu tun kriegen, sollte der Hammerclan fallen. Das Jagen wird immer schwerer. Wir könnten dich jetzt brauchen.“

„Vater macht das schon“, erwiderte Evert, wenn auch nach Ronars Neuigkeiten nicht mehr ganz so zuversichtlich, wie er das vorher noch gewesen wäre.

„Er schickt die Jäger in größeren Trupps raus und lässt sie von Orktötern eskortieren“, räumte Ronar ein. „Aber du siehst ja an Bullvik, dass sie selbst damit nicht sicher sind. Außerdem vertreiben so viele Leute auf einem Haufen das halbe Wild. Aber außer Hanson und mir geht trotzdem niemand mehr allein raus. Einige meinen, Grim sollte lieber den offenen Kampf mit den Orks suchen, anstatt die Krieger nur das Dorf und die Jagdtrupps bewachen zu lassen. Manche meinen, er sollte Verstärkung zum Hammerclan schicken.“

Evert seufzte. „Und manche meinen sicher auch, ich sollte endlich unter die Orktöter gehen und die Krieger bei diesem offenen Kampf anführen, wie es der Wille der Ahnen ist.“

Ronar hob abwehrend die Hände. „Das wollte ich nicht gesagt haben.“

„Weiß ich. Aber andere schon.“

„Hör nicht auf die. Du weißt doch, wie das ist. Gerade in schlechten Zeiten meint jeder, er selbst wäre der beste Jarl.“

„Mein Vater ist der beste Jarl.“ Evert und sein Vater mochten nicht mehr viel reden, seit er unter die Jäger gegangen war. Aber Grim war unbestreitbar ein hervorragender Anführer. Und er tat das Richtige. Der Clan war für einen offenen Krieg gegen die Orks zu klein. Er musste sich verteidigen und sicherstellen, dass die Jäger genug Fleisch für das Überleben des Dorfes zusammenbekamen. Diejenigen, die von Grim forderten, dass er endlich handeln und dass er kämpfen sollte, waren dieselben, die von Evert forderten, dass er endlich zu den Orktötern ging und dem Weg seiner Ahnen folgte.

„Überleg’s dir einfach“, meinte Ronar.

Evert nickte. „Mach ich.“ Dann zwang er sich zu einem Lächeln und klopfte Ronar auf die Schulter. „Pass auf dich auf.“

Der andere Jäger erwiderte die Geste. „Du auch. Auf bald. Und mögen die Ahnen über dich wachen.“

Ihm war wirklich ein Hase in die Schlinge geraten. Nahe der Schneegrenze. Die noch erfreulichere Überraschung war aber die Rauchsäule, die über dem Pass aufstieg.

Im Gras bei Everts Lager saß Wilson und briet einen Hirsch über dem Feuer. Er erhob sich, als er ihn näherkommen sah. „Evert! Hab mich schon gefragt, ob ich dich hier noch treffe.“ Die beiden Männer schüttelten sich zur Begrüßung die Hand. „Willst du was abhaben? Das Fleisch sollte bald durch sein. Ich kriege das eh nicht alles den Pass runter geschleppt.“

Evert lächelte. „Liebend gern. Du hast gar keine Vorstellung.“ Und indem er sich neben dem Feuer niederließ und seine Handschuhe auszog, um seine Hände zu wärmen, fragte er: „Wie lief dein Jagdzug?“

„Hervorragend. Ich habe einen Schattenläufer erlegt. Und was für ein Exemplar.“ Er wies auf ein Fell, das er etwas abseits des Feuers auf dem Boden ausgebreitet hatte. Ein besonders schönes Exemplar. Groß und dicht und schwarz, doch silbrig im Schein des Feuers und der langsam untergehenden Sonne. Zottelig und doch zugleich seidig. „In Faring gibt es einen Ork, der mir dafür 400 Goldstücke zahlen sollte.“

Evert nickte anerkennend. Wilson war ein begnadeter Jäger, was für einen Flachländer nicht selbstverständlich war. Selbst die meisten Nordmarer Jäger hätten sich nicht so schnell an einen Schattenläufer herangetraut. „Drüben im Busch habe ich ein paar Klauen und Felle versteckt. Nicht so beeindruckend wie dein Fell hier, aber sicher auch ein paar Goldstücke wert. Kannst du wie üblich mitnehmen. Sieh’s als Bezahlung für die Hirschkeule.“

Wilson winkte ab. „Ach, geschenkt.“

„Und für etwas Schnaps“, ergänzte Evert. „Ich brauche jetzt erst mal einen guten Schnaps.“

Und während er ins Feuer starrte, gingen ihm wieder Ronars Worte durch den Kopf. Vielleicht war es ja wirklich an der Zeit, dem Clan mal wieder einen besuch abzustatten. Ein schwarzer Wolf kehrte in den Wolfsclan zurück, so wie es aussah, warum nicht auch der andere?

Text: Jünger des Xardas