Die Taverne von Trelis (Teil 1)

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Zur tanzenden Fleischwanze

Mathilde versuchte sich zu erinnern, wie viele Brüder der Bräutigam wohl hatte. Drei von ihnen hatte die Braut schon durch. Inzwischen tanzte sie mit dem vierten, einem halbwüchsigen Bengel, der einen Kopf kleiner war als sie. Aber das junge Mädchen schien noch immer ausgelassen, ein breites Lächeln zierte das plumpe Gesichtchen, die Wangen waren leuchtend rot – wohl zu gleichen Teilen von der Anstrengung des Tanzens und von Federicos Wein – und die braunen Zöpfe flogen lustig durch die Luft. Der Kranz aus Margeriten, Veilchen und Kronstöckeln auf dem Haupt der Glücklichen hatte schon mehr als ein Blütenblatt verloren und saß auch längst nicht mehr ganz gerade. Aber auch daran störte sie sich offenkundig nicht, während sie im Rhythmus der Laute, der Flöten und all der Holzschuhe tanzte, mit denen die umstehenden Bauern Mathildes Dielen malträtierten, mit ihrem neuen Schwager durch den Schankraum wirbelte.
Während sie rasch hinter der Theke entlanglief, hielt sie prüfend die Nase in die Luft. Ein kurzer Blick in den Ofen, dessen Türe sie mit in ihre Schürze gewickelter Hand aufriss und sofort wieder zuschlug, bestätigte ihren Eindruck. Die Brote waren noch nicht fertig. „Leg noch etwas Holz nach, Miklav!“ Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen und zu schauen, ob ihr Sohn der Aufforderung nachkam, rauschte sie zu ihrem großen Kessel hinüber. Einmal die Kelle eingetunkt, kräftig gepustet und vorsichtig ein wenig von der dampfenden Suppe geschlürft. Ja, beinahe… „Miklav, noch eine von den Karotten!“ Als sie das neben dem Herd liegende Messer ergriffen hatte und zur Theke zurückgekehrt war, lag das Gemüse schon auf ihrem Hackbrett. Mit ein paar schnellen Schnitten zerteilte sie es in dünne Scheiben, dann hielt sie das Brett über den Kessel und schob die Karottenstückchen mit einer fließenden Bewegung des Messers hinab in ihren Fischertopf, wo einige Muscheln an der blubbernden Oberfläche umherschwammen. Sie würde gleich noch einmal abschmecken müssen.
„Mathilde, kann ich dir helfen?“
„Orelie, Liebes, du bist auch gekommen!“ Mathilde umarmte ihre alte Freundin über die Theke hinweg.
„Natürlich, diese Hochzeit lasse ich mir doch nicht entgehen!“
„Hast du gesehen, wie glücklich die Braut ist?“ Mathilde nickte mit ihrem Kopf zu dem in der Mitte des Raumes tanzenden Mädchen hinüber, das mittlerweile einen kleinen Buben an der Hand führte und damit der Tradition, die verlangte, dass die Braut mit allen Brüdern ihres neuvermählten Mannes tanzte, bald Genüge getan haben musste. „Es weiß nur niemand, woran das liegt – an ihrem Bräutigam oder daran, dass sie jetzt von Farmons Hof wegkommt.“
Orelie lachte und schlug ihr sanft gegen die Schulter. „Ach, geh, Mathilde, du bist unverbesserlich. Also, was ist jetzt, kann ich dir zur Hand gehen?“
„Die Suppe ist fertig“, urteilte sie, denn sie war schon wieder beim Abschmecken. „Sieh mal bitte nach den Broten für mich, die müssten auch gleich soweit sein. Miklav! Miklav, Junge, wo steckst du schon wieder?“
Ihr Sohn kam zwischen den Bauern hervorgehastet, drei leere Humpen in der Hand. „Ich soll Bier nachschenken.“
„Das kannst du gleich machen, jetzt hilfst du mir erst mal mit dem Kessel“, wies sie ihn an und zwickte ihn ins Ohr. „Dass du mir nächstes Mal gleich kommst, wenn ich dich rufe!“ Miklav machte einen abgehetzten Eindruck, wagte es aber nicht, sich zu widersetzen, sondern half ihr, den schweren Kessel vom Feuer zu hieven. Wie stets an solch vollen Abenden war ihr Junge mal wieder gänzlich überfordert. Adanos, gib, dass mir noch genug Jahre bleiben, dass ich ihn richtig vorbereiten kann! dachte sie, während sie das Feuer löschte. „Was stehst du denn hier noch rum, Miklav? Na los, der Hasenbraten ist gleich ganz verkohlt.“ Wie von der Blutfliege gestochen hetzte der Junge los. Mühe gab er sich ja. Aber die tanzende Fleischwanze eines Tages mal zu übernehmen, dafür war er noch lange nicht bereit. All der Trubel, die Hektik, die vielen Aufgaben auf einmal, das war viel zu viel für ihn. Wenn ihr Ebert noch unter ihnen weilen würde… Ja, der hätte Miklav schon Beine gemacht!
Mathilde wischte sich die Hände an der Schürze und erlaubte sich einen Blick über den Schankraum. Mit den Blumengirlanden hatte Miklav gute Arbeit geleistet, das musste sie ihm lassen. Wie immer musste sie an ihre eigene Hochzeit zurückdenken. Wie viele Jahre war das mittlerweile doch her! Das war noch gewesen, bevor Lukkor mit seiner Reiterei über den Pass gekommen war, vor dem großen Krieg damals. Ob Miklav zu den ersten Markern gehören würde, die keine Invasion aus dem Süden mehr erleben würden? Für viele Jahre hatte sie es gehofft und auch tatsächlich geglaubt, dass jetzt, da der König die Wüste erobert hatte, alles anders würde. Miklav wusste doch gar nicht mehr, was es wirklich hieß, ein Mensch der Mark zu sein. Er hatte ohne die ständige Angst vor einem Überfall der Südländer, die ihnen ihr fruchtbares Land neideten, aufwachsen dürfen. Aber heute war sie sich nicht mehr so sicher, ob er diese Angst nicht doch noch kennenlernen würde. Vielleicht war dies, was der Herr Adanos nun einmal für sie beschlossen hatte und vielleicht würde sich das Leben in der Mark nie ändern.
Letzteres konnte sie gut glauben, während sie ihren Blick weiter durch den Raum schweifen ließ. Die gesamte Mark hatte sich versammelt, wie immer, wenn es etwas zu feiern gab, und sei es nur die Hochzeit einer Magd und eines Knechtes. Mittlerweile hatte die Braut ihre Schuldigkeit getan und die Gäste machten dem Namen ihrer Taverne alle Ehre. Zumindest dem ersten Teil des Namens. Sie wollte niemanden mit einer Fleischwanze vergleichen! Lustig tanzten die Bauern und Bäuerinnen von den verschiedenen Höfen nun in einem großen Kreis, während noch immer andere mit ihren Füßen dazu den Takt angaben. Dass einer der Flötenspieler eine Pause eingelegt hatte und mit dem Gesicht geradezu in dem Schaumberg verschwand, der sich auf seinem Bierhumpen auftürmte, schien die Feiernden nicht zu stören. Dort sah sie zwei der Fischer vom Golf mit Mägden von Joshs Hof schäkern. Da entdeckte sie Orelies Mann Derec, der Federico fröhlich mit dessen Wein zuprostete. Auch einen seiner Knechte machte sie aus, diesen jungen Hitzkopf Ben, der sich wohl heftig mit einem der Durchreisenden stritt, die in ihrer Taverne logierten und bei dieser Feier natürlich so willkommen waren wie jeder andere.
„Mathilde, ich sehe, dein Fischertopf ist vom Feuer!“ Durch die Masse der lustig Feiernden drängte sich Tulio, einer von Farmons Knechten. Ihm folgte einer der Männer des Markgrafen, der noch in seinen grünen Waffenrock gekleidet war, aber seine Waffen wohl in der Burg zurückgelassen hatte. „Was sagst du, ist doch nur gerecht, dass ich die erste Schüssel kriege, immerhin hab ich die Fische selbst gefangen!“
Während Mathilde lachend eine ihrer Holzschüsseln aus dem Regal nahm und mit der Suppe füllte, führte der Soldat ein offenbar hitziges Gespräch fort. „Wenn ich’s dir doch sage! Erst gestern Nacht wieder. Ich hatte Wachdienst im Keller und da hab’ ich’s genau gehört. Gekratzt hat’s hinter der Wand! Gekratzt!“
Tulio lachte, während er die Schüssel entgegennahm. „Sind wahrscheinlich nur die Ratten, die ihr da immer in den Wänden hört. Hey“ – er beugte sich verschwörerisch zu seinem Gesprächspartner vor – „ich hab’ gehört, auf Khorinis, da soll’s Riesenratten geben, groß wie Wölfe sind die! Vielleicht sind ja mit dem letzten Schiff welche in Trelhaven gelandet und dann zu euch hoch.“
„Du musst es ja wissen“, gab der Soldat scherzend zurück und ließ sich ebenfalls eine Suppe in die Hand drücken. „Aber den Ratten geht’s da unten bei euch doch so gut, die würden da doch nie weg. Die hocken doch alle in eurem Stroh.“
„Ha! Lass das nicht den alten Farmon hören, der wird schnurstracks zum Grafen marschieren und verkünden, er könne nur noch die halbe Pacht zahlen wegen der ganzen Ratten.“
„Gibt’s was Neues von dem Geizhals?“, fragte Mathilde. Es war ihre längst feste Gewohnheit geworden, solche Fragen zu stellen. Die Taverne zur tanzenden Fleischwanze war das Herz der Mark. Hier traf sich alles. Sie war diejenige, der man alle Neuigkeiten zutrug, und sie war diejenige, von der man wiederum alle Neuigkeiten erfuhr.
„Frag seinen Buben.“
„Jennek ist auch hier?“
„Ja, keine Ahnung, wo, aber irgendwo hier steckt er. Tut mir leid.“ Tulio tippte sich zum Abschied an die Stirn. „Ich muss Jette finden“, erklärte er noch, während er wieder in der Menge verschwand. „Hat mir für heute einen Tanz versprochen“, war das letzte, was sie von ihm hörte.
„Tilde, wir haben kaum noch Brennholz“, meldete sich Orelie zu Wort, die von der Seite an sie herantrat.
„Miklav hätte doch rechtzeitig neues holen sollen. Wo steckt der Junge denn wieder? Miklav! Miklav!“ Ihr Sohn beeilte sich derart, ihrem Ruf zu folgen, dass er mitten über die Tanzfläche rannte und beinahe zwei tanzende Paare umgeworfen hätte. Mathilde kniff ihm ins Ohr. „Du sollst doch kommen, wenn ich nach dir rufe!“
„Hey, Mathilde, ein frisches Bier!“
„Und wo bleibt eigentlich deine Suppe?!“
„Na hörst du nicht?“, fragte sie und kniff ihren etwas überfordert dreinschauenden Jungen noch einmal ins Ohr. „Schenk die Suppe aus. Orelie, kannst du ein neues Fass anzapfen? Ich geh’ frisches Holz holen.“
Den meisten Menschen wäre es wohl nicht leicht gefallen, sich durch den mittlerweile rappelvollen Schankraum zu kämpfen. Sogar von den Höfen beim Pass waren sie mittlerweile hergekommen, um mitzufeiern. Aber Mathilde arbeitete in der tanzenden Fleischwanze, seit sie sich damals mit ihrem Ebert verlobt hatte. Wenn sie eines gelernt hatte, dann sich mühelos zwischen Menschen hindurchzuschlängeln, notfalls auch mit sechs Humpen Bier in den Armen.
Draußen war es angenehm kühl, wie es nur die Nächte in der Westmark waren. Als Ausgleich für die so heißen Tage, hatte ihr Ebert immer gesagt. Denn Adanos wachte über die Menschen der Mark und Adanos brachte stets und überall den Ausgleich. Erst wenn man nach draußen trat, merkte man wirklich, wie heiß es drinnen unter all den Leuten inzwischen war. Gerne hätte sie sich eine Verschnaufpause gegönnt. Es war ein schöner lauer Abend. Vor ihr erhoben sich, tiefschwarz, die Bäume des Waldes, über ihr gaben die Zweige und Blätter den Blick auf den ebenso schwarzen, aber sternenbedeckten Himmel frei. Grillen zirpten im Gras. Aber sie hatte keine Zeit, um all das zu genießen. Sie musste sich schließlich um ihre Gäste kümmern. Also flugs ums Haus rum gelaufen, dorthin wo das Feuerholz lag. Als sie um die Ecke bog, sah sie die Burg direkt auf der anderen Seite des Flusses vor sich aufragen. Auch sie war finster. Nur hie und da bewegten sich einige flackernde Lichter auf den Mauern. Die Soldaten Markgraf Herons, die dort mit Fackeln patrouillierten und sicher ihre Kameraden beneideten, die heute einen freien Abend hatten. Ruhig und friedlich lag Trelis da. Wie immer. Und mochten sich im Wald auch wilde Tiere rumtreiben, mochten von Norden auch die Orks nahen und mochten sich im Süden die Bewohner der Wüste auch wieder erhoben haben, im Schatten dieser Mauern konnte ein Markbewohner gar nicht anders, als sich sicher fühlen. So viele Generationen war Trelis schließlich ihr Bollwerk gegen alle Angriffe der Südländer gewesen, hatten die Markgrafen sie immer beschützt.
Als sie wieder eintrat, einen Stapel Holzscheite in den Armen, prasselte es sogleich auf all ihre Sinne ein, den Geschmackssinn vielleicht einmal ausgenommen. War es draußen schwarz gewesen, so empfingen sie nun wieder all die bunten Blumen, die von den Balken hingen, und die vielen Menschen, die sich in ihre besten Kleider geworfen hatten und nun tanzend vor ihren Augen umherwirbelten. Der Lärm, der draußen nur noch gedämpft zu vernehmen gewesen war, all das Gelächter und Gesinge und Geklatsche, das Gewirr von vielen dutzend Stimmen, die Musik, das Tanzen, drang wieder von allen Seiten auf sie ein und bildete dabei den schärfsten Kontrast zu den sanften Tönen der Grillen. Heiß, ja sogar stickig war es sofort wieder, vorbei die milde Kühle von draußen. Vor allem aber: Sie roch das Brot.
„Rasch, Miklav, die Brote! Nun trödel doch nicht rum, die verbrennen ja gleich!“ Ihr Sohn hastete an ihr vorbei zum Ofen. Sie hielt ihn nur ganz kurz an, um ihn einmal für seine Unachtsamkeit ins Ohr zu zwicken – eine akrobatische Meisterleistung mit all dem Holz in ihren Armen –, dann schalt sie ihn wieder, dass er nicht endlich die Brote aus dem Ofen holte. Zum Glück sagte ihr der frische angenehme Duft, der sich kurz darauf im ganzen Raum verbreitete, dass es noch nicht zu spät war.
„Ach, Jennek!“, begrüßte sie freudig Farmons Sohn, als sie das Holz aus den Händen gelegt und sich wieder dem Raum zugewandt hatte, wo dieser sich gerade vor ihr aus der Menge geschält hatte. „Wie geht es dir?“
„Ganz gut.“ Der junge Bursche nippte an einem Wein und machte ein Gesicht, das zu seinen Worten nicht recht passen wollte.
„Der Alte schindet euch wohl mal wieder ganz schön, was?“, fragte sie mitfühlend. Die Schwielen an Jenneks Händen waren nicht zu übersehen.
„Haben ja zwei Hände weniger, die auf dem Feld aushelfen, da müssen wir natürlich alle doppelt so hart anpacken“, gab er mit finsterer Miene wieder, was zweifellos Farmons Worte waren.
„Doppelte Arbeit und bestimmt schon wieder halber Lohn, so kennen wir deinen alten Herrn“, lachte sie, was Jennek aber offenbar nicht aufmunterte. „Aber wie geht’s der Mama?“
Die Miene des jungen Bauern verfinsterte sich noch mehr. „Nicht gut. Sie kann nicht mehr arbeiten. Ist nur noch bettlägerig.“
Mathilde wischte sich die Hände an der Schürze ab, dann drückte sie den Jungen kurz an sich. „Bloß nicht verzagen! Deine Mutter ist zäh. Das wird schon wieder. Mein Ebert hat immer gesagt…“
Jennek schien sich im Augenblick nicht für die Worte Eberts – oder vielmehr Adanos’, denn ihr frommer Mann hätte sich nie erlaubt, die Leute mit seinen privaten Ratschlägen zu belästigen, und wenn sie ehrlich war, musste sie, so sehr sie ihren Mann geliebt hatte, gestehen, dass ihm auch jeder Mutterwitz abgegangen war und ihm selber wohl nicht viel Gescheites eingefallen wäre – Jennek jedenfalls schien sich im Augenblick nicht für die Worte zu interessieren, die sie ihm mitgeben wollte. Stattdessen sprach er, wie halb zu sich: „Dieser Händler aus Geldern war neulich wieder da. Der seine Tranklieferungen nie aus den Augen lässt und immer persönlich in Trelhaven abgibt. Hat gemeint, noch wäre es nicht so ernst. Er könnte nächstes Mal einen Trank aus Geldern von einem der Alchemisten mitbringen. Aber Vater war geizig wie immer. Hat den Kerl auf den halben Preis runtergehandelt, aber das war ihm immer noch nicht billig genug. Jetzt sagt er, das wären eh alles Scharlatane und Quacksalber in Geldern. Hat eine der Mägde Heilpflanzen pflücken geschickt, meinte, das reicht völlig. Hat ihr natürlich die Zeit, die sie damit und nicht auf dem Feld verbringt, noch vom Lohn abgezogen.“
Mathilde wollte gerade etwas erwidern. Und gewiss keine Weisheiten Adanos’, denn Frömmigkeit und Gottesfurcht hin oder her, man musste auch wissen, wann man den Herrn der Sanftmut und der Barmherzigkeit mal sanftmütig und barmherzig sein lassen und auf den Tisch hauen musste. Aber sie kam auch diesmal nicht dazu, Jennek zu sagen, was sie ihm gerne sagen wollte, denn mit einem Mal stürmte einer der Männer des Grafen hinein und schoss dabei so plötzlich und unerwartet durch die Tür, dass er dem Burgschmied Marcelo den Humpen aus der Hand schlug. Das Gesicht des Mannes war bleich und wild gestikulierte er mit den Armen und schrie dabei aus voller Kehle, aber dennoch dauerte es etwas, bis er sich Gehör verschaffen konnte. „Die Orks! Die Orks! In Geldern! Die Orks haben Geldern! Haben Geldern erobert! Die Orks!“, keuchte er.
Mit einem Male war es still. Niemand tanzte mehr. Keine Musik spielte mehr. Selbst Jennek schien für den Moment zu überrascht, um noch über dem Geiz seines Vaters zu brüten. Und was Mathilde anging, die bemerkte gar nicht, wie der Hase verkohlte, und vergaß völlig, Miklav anzufahren, dass er sich um den Braten kümmern müsse, oder ihn ins Ohr zu zwicken.
Die Orks.
Natürlich hatten sie gehört, dass diese von Beliar gesandten Bestien die Ebenen im Norden überrannt hatten. Silden hatten sie niedergebrannt, so wollte es zumindest das Gerücht. Aber die Ebenen, die waren weit weg. Und Myrtana war groß und mächtig und unbezwingbar. König Rhobar herrschte über die ganze bekannte Welt. Selbst die Wüstenbewohner hatten sie vor Jahren endlich bezwungen. Und für die Bewohner der Westmark gab es auf der Welt eigentlich nur einen Schrecken, und das waren die Varantener. Die Orks, hatte man sich gesagt, würden schon wieder in ihre karge Heimat zurückgedrängt werden. Dann waren sie eben plötzlich über den Pass gekommen, hatten jeden überrascht und die hilflosen Ebenen überrollt. Aber der König würde mit der ganzen Macht seines Heeres, das alle Reiche der Menschen unterworfen hatte, antworten. In den vergangenen Wochen und Monaten waren immer wieder Soldaten und Paladine durch Trelis und nach Geldern gezogen. Stets hatten sie ihnen zugejubelt. Und nun…
Geldern war gefallen. Sie konnte es noch immer kaum glauben. Aber sie wusste, was das hieß: Bald schon würde Trelis wieder belagert werden, wie so oft in seiner Geschichte. Doch diesmal würden die Angreifer nicht von Süden, sondern aus dem Norden kommen.
Es sah so aus, als würde Miklav doch noch erfahren, was es hieß, zu bangen und zu fürchten.