Nachtschatten

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von HerrFenrisWolf

Beliar hatte seinen kühlenden Mantel der Nacht über Ishtar ausgebreitet. Die Sonne, Innos’ sengender Fluch über Varant, war erst vor einer Stunde untergegangen. In den meisten Häusern brannten noch Kerzen und Feuerschalen, die ihr Licht auf die Straße warfen.
Auch am Rande des Lustgartens der Festung loderten noch Flammen aus einer Schale. Gedankenabwesend griff der Kalif in ein Gefäß, welches eine seiner Sklavinnen an ihre Brust hielt, dann warf er etwas von dessen Inhalt in die Flammen. Die aromatischen Harze schmolzen in der Schale und ein anregender Duft entfaltete sich im Garten. Zuben berauschte sich an den vielfältigen Gerüchen, während er ruhig durch seine Nase atmete.
Eine unwillkürliche Bewegung in einem der Schatten brachte seine Leibwächter dazu, augenblicklich ihre Schwerter zu ziehen. Zwei der Krieger eilten an die Seite ihres Herrn, während zwei andere vorsichtig auf den Ort der Bewegung zugingen.
Ein Mann in einem beigen, mit Ornamenten bestickten Mantel trat aus der Dunkelheit. Obwohl derlei Kleidungsstücke in Varant verbreitet waren, erkannte der Kalif sofort, wen er vor sich hatte. Als der Mantelträger auf die Feuerschale zutrat, erkannten auch die Wachen sein Gesicht und entspannten sich.
Zuben winkte ab: „Lasst uns allein!“ Die Krieger nickten ihrem Meister zu, dann verließen sie den Garten in Richtung Palast. Sie wussten, ihr Herr war in der Anwesenheit dieses Mannes sicher, vielleicht sogar sicherer als in der Nähe seiner eigenen Wachen. Ohnehin gab es nur diesen einen, der sich so an sie anschleichen konnte. Selbst als einfacher Mann verkleidet, war er ins Innere von Ishtar gelangt. Seiner Sklavin zugewandt sprach der Alte: „Geh! Lass mir ein Bad ein!“ Auch sie entfernte sich, wie ihr geheißen.
Der Neuankömmling verbeugte sich tief zum Gruße
„Jeder andere hätte sich umgezogen, ehe er es gewagt hätte, mir unter die Augen zu treten. Du aber willst mir deine Nachrichten nicht unnötig vorenthalten, ist es nicht so?“ Zuben lächelte das Lächeln gütiger alter Männer, die sich von den Sorgen der Jungen geschmeichelt fühlen: „Du weißt, ich bin ein geduldiger Mann. Aber es ehrt dich, so den Wünschen deines Kalifen zuvorzukommen. Nun, da ich nicht erst nach dir schicken muss, was hast du mir zu berichten?“
„Mein Herr, ich habe alle Städte Eures Reiches bereist und dieses und jenes erfahren.“
„Berichte, mein guter Freund! Die Orks haben Varant mittlerweile erreicht und ihre Ausgrabungen begonnen, wie mit uns ausgehandelt. Wie ergeht es ihnen dabei?“
„Sie leiden sehr unter der Hitze, treiben ihre Bemühungen aber dennoch mit großem Eifer voran. Ihre Grabungsstellen haben einen gewaltigen Hunger nach der Arbeitskraft frischer Sklaven, die sie im gleichen Maße verschleißen.“
„Und die gewitzteren unter den Händlern unseres Volkes halten sich gewiss stets in der Nähe dieser Grabungen. Machen sie gute Geschäfte?“
„In der Tat, viele der Kostbarkeiten, die die Orks freilegen, finden sich schließlich über Umwege auf den Märkten. Der Sklaven- und Artefakthandel blüht wie nie zuvor.“
„Dann werde ich einen entsprechenden Tribut der Städte an mich erwarten. Aber ich nehme nicht an, dass du mich wegen solcher Banalitäten aufsuchst. Hast du herausgefunden, was für Artefakte die Orks suchen?“ Diese Frage beschäftigte Zuben, seit sie ihn um die Erlaubnis ersucht hatten, in seinem Land zu graben.
„Nein, Meister. Die Orks wissen es offenbar selber nicht. Nur einer scheint die Antwort wirklich zu kennen.“
Xardas. Zuben schätzte es nicht, wenn er mit unbekannten Faktoren zu tun hatte.
„Doch ich bin auf verschiedene Gerüchte gestoßen. Die Wassermagier seien zu ihren Sippen zurückgekehrt, hieß es in Mora Sul.“
„Die Nomaden sollen sich jüngst seltsam verhalten. Sie scheinen ihre üblichen Wanderungen zu unterbrechen. Eine Rückkehr der Wassermagier wäre in der Tat eine Erklärung. Auf der anderen Seite könnte dies aber auch nur an der steigenden Jagd auf Sklaven liegen. Aber du würdest mir kein Gerücht zutragen, wenn du nicht ein Sandkorn Wahrheit darin vermuten würdest. Nicht wahr?“
„Natürlich würde ich den großen Kalifen nie mit bloßem Markttratsch belästigen. Aber da ist ein anderes Gerücht, das zu diesem passt. Ein paar Sklaven der Orks stammten aus Khorinis.“
Zuben nickte. „Derselben Provinz, in der sich die törichten Wassermagier einst selbst unter eine magische Barriere gesperrt haben. Die Barriere ist gefallen. Die Wassermagier sind also wieder frei. Hältst du es etwa für möglich, dass sie auf dem Rücken von Orkgaleeren zurückkamen, vielleicht als Sklaven?“
„Nein, das nicht.“ Sein Gegenüber schüttelte beflissentlich den Kopf: „Allerdings berichten die wenigen Sklaven, die aus der Hafenstadt selbst stammten, dass ein einzelnes Schiff der myrtanischen Flotte, unter der Führung von Paladinen, dort vor Anker lag. Und dass es überraschend wieder ablegte, kurz bevor die Orks die Stadt einnahmen. Ohne die Paladine.“
„Interessant, ganz gleich, ob die Wassermagier oder jemand anderes auf diesem Schiff segeln, interessant…“ Zubens Finger fuhren spielerisch durch seinen Bart, der Gedanke an dieses zweite Gerücht bereitete ihm Unbehagen. Mehr als der an das erste. „Und selbst wenn nicht mit diesem Schiff“, fuhr er dann fort, „wir müssen dennoch mit einer Rückkehr der Wassermagier rechnen. In der Barriere hatten sie viele Jahre Zeit, sich auszudenken, wie sie heimkehren könnten. Wer kann schon ahnen, welchen trickreichen Zauber sie ersonnen haben? Aber sag mir, wo sind die Sklaven jetzt, die du in dieser Sache gesprochen hast?“
Der Blick des Mantelträgers blieb ausdruckslos. „Ich habe sie mit Gift zum Schweigen gebracht und Beliar überantwortet.“
„Gut.“ Der Kalif war äußerlich verhältnismäßig jung in Anbetracht seines hohen Alters, allein seine gerissenen, alles durchdringenden Augen gaben eine ungefähre Vorstellung, wie viele Jahre er schon hinter sich hatte.
Sein Besucher kniete sich auf den Boden und strich mit der Hand durch den Sand. „Die Wassermagier sind nicht wichtig. Die Nomaden allein sind keine Bedrohung. Lehnen sie sich auf, werden die Assassinen ihren Aufstand niederschlagen.“ Seine Hände hatten ein symbolisches Grab aus Sand geformt.
Zuben nickte bedächtig. „In der Tat. Die Wassermagier sind vorerst keine Bedrohung. Ich werde die weiteren Schritte der Nomaden beobachten lassen und abwarten. Du weißt, dein Kalif ist ein geduldiger Mann.“
Sein Gesprächspartner erhob sich wieder. „Ich werde nach Myrtana gehen. An die Küste.“
Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des alten Schwarzmagiers. „Und nicht bloß, um zu sehen, wie die Orks auf Vengard marschieren und meinem größten Feind ein Ende setzen. Gut, auch mich hat deine Erzählung über dieses Schiff neugierig gemacht.“ Er dachte an die Vision, die er vor einiger Zeit gehabt hatte. Und der Mensch erschlug das Tier und es ging ein in Beliars Reich. Und dann… ein Schiff, das eine schwarze Insel verlässt, und eine Entscheidung, die getroffen werden wird. „Wenn du an der Küste bist: Khabirs Mann dort dürfte bereits in Kap Dun eingetroffen sein.“
Ein letztes Mal verbeugte sich der Mantelträger, dann verließ er den Garten und verschwand erneut in der Dunkelheit. Zuben begann damit, sich mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel zu massieren. Der Kalif hatte Kopfschmerzen, doch ob sie von dem Gerücht stammten, oder er nur zu viel vom Harz verbrannt hatte, wusste er selbst nicht zu sagen. Ein Bad und der Anblick seiner Sklavinnen würden schon für Abhilfe sorgen, denn seinen Auftrag wusste er in fähigen Händen.