16. Dezember 2012

- 7:17

Die Würfel sind gefallen

„Bei Innos! Schon wieder eine Sechs?“ Pavel stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben.

„Scheiße!“, schimpfte Falk. Er riss sich den Geldbeutel vom Gürtel und pfefferte ihn auf den Tisch. „Ich bin raus.“ Wütend stapfte der Jäger nach draußen.

Grinsend nahm Alea den Beutel und hängte ihn sich an den eigenen Gürtel. „Ich hoffe, das gilt nicht für den Rest von euch. Ich verdoppele den Einsatz – wer ist dabei?“

Pavel schnaubte resigniert. „Du beraubst uns!“

Alea zuckte mit den Schultern. „So läuft das Spiel. Und ohne Risiko würd’s doch keinen Spaß machen. Tröstet euch, Freunde, ihr wisst doch, Pech im Spiel, Glück…“

„Du betrügst.“

Das Lächeln verschwand aus Aleas Gesicht. Auch Pavel verstummte und spannte sich merklich an. Die Augen der beiden richteten sich auf Lukjan, der mit verschränkten Armen an der Ecke des Tischs saß.

Schnell fing Alea sich wieder. „Jetzt kränkst du mich! Schön, ich habe eine Glückssträhne. Aber mir gleich Betrug vorzuwerfen? Sowas zeichnet einen schlechten Verlierer aus, mein Freund.“

„Wir sind nicht deine Freunde“, zischte Lukjan.

Alea seufzte theatralisch. „Und ich dachte, wir säßen hier in netter Runde, würden uns amüsieren… Und nun werde ich des Betrugs bezichtigt, nur weil ich mal eine kurze Glückssträhne habe.“

„Von „kurz“ kann man da wirklich nicht mehr sprechen“, merkte Pavel an.

„Na schön, na schön, eine lange Glückssträhne. Aber ist das denn ein Verbrechen? Die Götter meinen es halt gut mit mir! Und überhaupt: Das ist nichts als eine Unterstellung. Im Zweifel für den Angeklagten.“

„Ganz wie du meinst. Dann spielen wir also weiter. Um den doppelten Einsatz“, entgegnete Lukjan. Alea wollte schon aufatmen, als der Jäger hinzufügte: „Aber diesmal krieg ich deinen Würfel und du meinen.“

„Auf keinen Fall!“, stieß Alea aus.

„Hab ich’s mir doch gedacht.“

„Willst du mir etwa unterstellen…?“

„…dass dein Würfel gezinkt ist. So sieht’s aus.“

„Das ist mein Glückswürfel, weiter nichts. Ich würfle immer mit diesem Würfel. Schon seit Jahren. Der stammt noch aus meiner Zeit in Vengard und hat mich nie im Stich gelassen.“ Glück hatte er ihm allerdings auch nicht immer gebracht. Nicht zum ersten Mal warf ihm ein Mitspieler Betrug vor. Zum Glück waren diese Jäger hier am Arsch der Welt nicht so einflussreich wie die Feinde, die er sich damals in der Hauptstadt gemacht hatte.

„Wollen doch mal sehen, ob dein Glückswürfel mir auch Glück bringt.“

Lukjan langte über den Tisch, doch Alea schlug seine Hand beiseite. „Finger weg!“ Er würde niemanden an seinen Glückswürfel lassen.

„Ich glaube langsam, Lukjan hat Recht“, meldete sich Pavel wieder zu Wort. „Hätten wir gleich wissen müssen. Waldläufern ist nicht zu trauen.“

Alea wusste, wann es besser war, zu gehen. „Fein“, seufzte er gekränkt und erhob sich. „Ich merke, wenn ich unerwünscht bin.“

Er wandte sich schon zum Gehen, doch Lukjan rief: „Hier geblieben! Wir wollen unser Gold zurück!“

„Was? Das geht zu weit! Wer sich aufs Spielen einlässt, muss auch damit leben können, zu verlieren.“

„Das kann ich. Aber ich kann nicht damit leben, dass man mich übers Ohr haut!“ Plötzlich hatte Lukjan ein Messer in der Hand.

„Schon gut, schon gut!“ Abwehrend hob Alea die Hände. „Ich will keinen Streit.“ Widerwillig legte er seinen Gewinn zurück auf den Tisch. Am liebsten hätte er ihn dem Jäger in seine dämliche Visage gepfeffert. Aber er wusste, wann er unterlegen war. Alea konnte sich verteidigen, wenn es darauf ankam, aber ein großer Kämpfer war er nie gewesen. Und hier war er zwei zu eins in der Unterzahl. Eins zu drei, denn Falk würde seinen Kumpanen sicher zu Hilfe kommen.

Pavel spuckte aus, als Alea sich schließlich zum Gehen wandte. „Waldläufer“, murmelte er wütend. „Fahrendes Volk. Hätten ja gleich wissen müssen, was von so einem zu halten ist.“

Vor der Hütte saß Falk und rupfte einen erlegten Scavenger. Der Jäger warf ihm einen grimmigen Blick zu, als Alea vorbeiging. Er gab vor, es nicht zu bemerken.

Vor ihm erstreckten sich die großen Ebenen. Jenes Niemandsland im Nordwesten Myrtanas, das nur von einigen wenigen Jägern durchstreift wurde. Jägern und Waldläufern.

Es regnete. Im Grunde nur ein Nieseln. Doch die kalten Tropfen, die auf seinen Kopf fielen, störten Alea. Er zog sich seine Kapuze über den Kopf.

Es war doch immer das gleiche. Schon in Vengard war es so gewesen. Und seit er sich den Waldläufern angeschlossen hatte, brachten die Menschen ihm nur noch mehr Misstrauen entgegen als zuvor. Vielleicht sollte er sich beim nächsten Mal seines grünen Mantels entledigen, ehe er sich wieder unter Menschen wagte. Aber am Ende würde auch das nichts ändern.

Die Leute dachten halt immer das schlechteste von ihren Mitmenschen. Und wenn man wie er mit besonderem Glück im Würfeln gesegnet war, wurde man früher oder später verdächtigt, zu betrügen.

Sein Glückswürfel sei gezinkt, hatte Lukjan gesagt. Ha! Seinen Glückswürfel hatte Alea einst selbst geschnitzt. Aus einem Stück Trollknochen, das er zu einem hohen Preis in Vengard erworben hatte. Zugegeben, er war kein gelernter Handwerker. Da konnte es schon sein, dass er nicht ganz sauber gearbeitet und seine Schnitztechnik ihm einen Vorteil verschafft hatte. Aber musste man wirklich so kleinlich sein, ihm das anzulasten?

Eine Bisonherde zog vorbei. Das Fell und das Fleisch dieser Tiere machten aus ihnen eine verlockende Beute. Aber man musste schon wahnsinnig sein, sich mit einer ganzen Herde anzulegen. Alea war ohnehin kein großer Jäger. Er hielt sich lieber an Hasen.

Im Moment aber kümmerten ihn weder Bisons noch Hasen. Er näherte sich dem Fluss und dort wimmelte es vor Lurkern, Blutfliegen und sogar Krokodilen. Die Städter mochten sich so viele Geschichten über das Waldvolk erzählen, wie sie wollten, diese Biester ließen einen nicht in Frieden, nur weil man einen grünen Mantel trug.

Nun, vielleicht taten sie das an den alten Steinkreisen und Monolithen, die man über ganz Myrtana verteilt fand. Zumindest behauptete Runak stets, dass Adanos an diesen Stätten über das Waldvolk wache. Ausprobiert hatte Alea es nie. Ihm stand nicht der Sinn danach, ein Wolfsrudel oder einen Schattenläufer zu so einer Kultstätte zu locken, nur um dann festzustellen, dass ein kräftiges Gebiss ihn auch genauso gut inmitten eines Steinkreises zerfleischen konnte wie anderswo.

Alea hatte Glück. Die Lurker am Fluss hatten in einer unvorsichtigen Goblingruppe bereits eine Mahlzeit gefunden. Und die Blutfliegen blieben bei dem inzwischen stärker gewordenen Regen am Boden.

Ein Kampf war das letzte, worauf er nun Lust hatte. Und ob an einem Steinkreis oder hier im Nirgendwo, kein Vieh fragte einen Menschen, ob er zufällig Waldläufer war. Nicht mal die Blumenpflücker waren vor ihrer ach so geliebten Natur sicher, dachte er mit einem Grinsen.

Bald schon übertönte das Rauschen des Wasserfalls den fallenden Regen. Hinter den Bergen senkte sich langsam die Sonne herab. Alea warf einen besorgten Blick hinauf zu dem Gipfel zu seiner Linken.

Runak und seine Blumenpflücker konnten so viel davon erzählen, wie sie wollten, dass der Wasserfall eine heilige Stätte sei, Alea schmeckte es nicht, dass sie sich am Hang des Archolos niedergelassen hatten. In dieser Gegend wusste jedes Kind, dass der alte Weinberg verflucht war. Alea hatte nie viel auf Gruselgeschichten gegeben. Aber unwohl war ihm dennoch. Und er hätte schwören können, eines Nachts ein seltsames Licht auf der Bergspitze gesehen zu haben.

Er verdrängte den Gedanken an die wandelnden Toten, als zwischen den Bäumen das Lager von Runaks Läuferschar in Sicht kam. Waldläufer beiderlei Geschlechts hatten es sich vor der Hütte gemütlich gemacht, in die sich ihr Druide zurückgezogen hatte. Viele saßen am Feuer und unterhielten sich. Zwei übten mit dem Bogen und nutzten einen dünnen Baum dabei als Zielscheibe. Ein Läufer wusch seinen Mantel am Ufer.

„Alea!“

Er zuckte zusammen und drehte sich langsam herum. Er konnte schon ahnen, was jetzt kam.

„Du weiß genau, dass du nicht allein herumstreifen sollst!“

Alea schaute in die von Klauenspuren völlig entstellte Fratze Silvas, der seinen Blick missbilligend erwiderte. „Na ja, genau genommen, hat Runak uns nur gebeten…“, setzte er an.

„Und du solltest seinen Bitten nachkommen. Er hat sich Sorgen um dich gemacht.“

„Unnötig. Ich war doch keinen Tag weg.“

„Du warst da draußen. Du weißt genau, wie angespannt die Lage in Myrtana ist. Und dass wir nicht wissen, wie die Orks zu uns stehen. Deshalb haben wir uns hierhin zurückgezogen. Runak will keinen Ärger, ich hoffe, daran muss ich dich nicht erinnern.“

„Musst du nicht. Wir wollen neutral bleiben und deshalb warten wir hier und erregen kein Aufsehen, bis sich die Lage beruhigt hat, und machen uns vor allem keine Feinde. Weiß ich alles.“

„Dann benimm dich auch entsprechend.“

Alea seufzte. Es war immer das gleiche mit den Blumenpflückern.

Es gab ja genug Läufer wie ihn. Stinknormale Menschen, die sich Ärger eingehandelt hatten und die beim Waldvolk untergetaucht waren. Leute, mit denen man prima auskam. Aber diese Blumenpflücker waren immer so unentspannt. Sie nahmen das alles furchtbar ernst. Für sie war das Wort der Druiden Gesetz.

„Komm.“ Freundschaftlich schlug Alea dem anderen Waldläufer auf die Schulter. Hier war Deeskalation angesagt. Außerdem konnte Silva ja doch ganz in Ordnung sein, wenn er den Blumenpflücker nicht zu sehr raushängen ließ. „Ich hab’s ja nicht bös’ gemeint. Ich war auch in keiner Schenke mehr. Nur draußen bei den Jägern.“

„Hm, ich nehme an, das ist schon mehr, als wir von dir erwarten konnten.“

„So gefällt mir das, mein Freund! Die Dinge positiv sehen!“ Noch einmal klopfte Alea seinem Kameraden auf die Schulter. „Kommt auch nicht mehr vor, versprochen. Aber wenn ich nicht mehr rausgehen kann, um mal ein wenig zu würfeln, muss ich mich hier im Lager vergnügen. Was hältst du von einem kleinen Spielchen?“

Silva zuckte mit den Schultern. „Wenn dich das im Lager hält. Sicher, warum nicht?“

Alea grinste erfreut. Ja, Silva konnte doch ganz in Ordnung sein, dachte er sich, während er mit seinem Glückswürfel in der Tasche spielte.

 

Das Waldvolk besitzt im Originalspiel keinerlei Profil, was auch damit zusammenhängt, dass es neben den drei Druiden nur einen einzigen Waldläufer mit Namen gibt. Das ist etwas, das sich mit dem CSP ändert. Wir hoffen, diese Kurzgeschichte konnte euch einen kleinen Einblick in das Leben des Waldvolks geben und euch neugierig machen auf die neuen NPCs, die ihr dort treffen werdet.